Arzneimittelforschung

Die traditionelle Arzneimitteldosierung berücksichtigt nicht die individuellen Gene oder bestimmte emotionale und physikalische Umgebungen der jeweiligen Patienten. Je nach Ausprägung dieser Umstände reagieren Patienten unterschiedlich auf ein und das gleiche Medikament. Dieser Zustand wurde von der Wissenschaft und den Menschen bisher in Ermangelung einer Lösung hingenommen. Das soll sich nun ändern, indem die heutigen Erkenntnisse der Biologie und das Wissen über Arzneimittel mit Werkzeugen kombiniert werden, die voraussagen können, welches Arzneimittel in welcher Dosis für ein bestimmtes Individuum wirkt. Solche Voraussagen würden maßgeschneiderte, personalisierte, medizinische Behandlungen ermöglichen und langfristig unerwünschte Nebenwirkungen vollständig eliminieren. Um diese Herausforderung zu meistern, müssten verschiedene, zurzeit noch voneinander losgelöste Datenbanken und -sammlungen miteinandern kombiniert und semantisch verbunden werden: alle Arten von historischen und aktuellen medizinischen Patientenakten, alle erdenkliche wissenschaftliche Berichte über Arzneimittel, Tests von Arzneimitteln und ihre möglichen Nebenwirkungen und Auswirkungen für verschiedene Patienten. Traditionelle Datenbanken können diese Funktion aufgrund ihrer Komplexität bisher nicht abdecken und eine manuelle Verbindung der Datenbanken zu diesen Zwecken wäre sowohl zu zeit- als auch zu kostenintensiv. Allein die Daten in den Datenbanken konsistent und frei von Redundanz zu halten, wäre ein fast unmögliches Unterfangen. Jedes Mal, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse in einer bestimmte Datenbank erneuert werden würden, müssten die, die dahin verlinkt haben, ihren Link erneuern – wenn sie, wie weiter oben beschrieben, es überhaupt mitbekommen.

Eine Gruppe von Forschern vom “Children`s Hospital Mediacal Center” im amerikanischen Cincinnati versucht, aufbauend auf den Möglichkeiten des semantischen Webs, die verborgenen genetischen Gründe für Herz-Kreislauf- Erkrankungen aufzudecken. Hierzu würde die traditionelle Forschung nach Genen suchen, die sich unterschiedlich in gesundem und erkranktem Gewebe verhalten, und daraus schließen, dass diese Gene in irgendeinem Zusammenhang mit der kardiovaskulären Erkrankung stehen. Dieses Vorgehen würde zu unzähligen in Frage kommenden Genen führen, wobei die Forscher für jedes Gen wiederum viele verschiedene Datenbanken durchsuchen müssten, um herauszufinden, welches Gen genau diesen negativen Effekt hätte am ehesten verursacht haben können. Eine sehr zeitintensive Aufgabe, die sich die Forscher oftmals nicht erlauben dürfen. Das Team aus Cincinnati, welches von einem semantischen Berater unterstützt wurde, begann damit, die vielen verschiedenen relevanten Datenbanken mit ihren unterschiedlichen Formaten auf ihren Computer herunterzuladen. Dazu zählten beispielsweise Gen-Ontologien, MeSH, eine Datenbank, die auf Erkrankungen und ihre Symptome fokussiert ist, Entrez Gene, eine Datenbank mit Informationen bezogen auf Gene sowie OMIM, eine Datenbank, die die Beschreibung menschlicher Gene und ihrer Störungen enthält. Im zweiten Schritt übersetzten die Forscher die unterschiedlichen Formate der verschiedenen Datenbanken in das einheitliche Resource Description Frameworl (RDF) und speicherten diese Informationen in einer semantischen Datenbank.

Anschließend nutzen sie den kostenlos verfügbaren (open source) Ontologie- Editor Protégé¹, entwickelt von Forschern an der Stanford Universität, um das Wissen aus den diversen Quellen in eine Ontologie zu integrieren. Mittels eines Ranglisten-Algorithmuses, vergleichbar mit dem Algorithmus, der hinter dem Google Pagerank steckt, priorisierten die Forscher die Menge an Genen, die mit Herzerkrankungen in Verbindung stehen könnten. So fanden sie potentielle Kandidaten, die eine verursachende Rolle bei der Schwächung der Pumpfunktion des Herzens haben, und ließen als Nächstes diese Ergebnisse von der Software evaluieren. Durch diese Überprüfung konnten sie vier Gene isolieren, die eine starke Verbindung zu einer chromosomalen Region haben, die für die Schwächung der Pumpfunktion des Herzens verantwortlich sein könnte. Gegenwärtig ermitteln die Forscher aus Cincinnati die Effekte dieser vier Gen- Mutationen als mögliches Ziel für neue therapeutische Behandlungen. Zudem weiten die Forscher ihr System auf andere Herzerkrankungen aus und erhoffen sich eine ähnlich dramatische Verbesserung der Effizienz. Selbstredend könnte dieses System auf weitere Krankheitsbilder ausgeweitet werden.

Dies ist nur ein gutes Beispiel, das zeigt, wie und wo die semantische Technologie von wahrem Nutzen ist. In ähnlicher Weise machen sich die Forscher der Pharma-Kooperation Eli Lilly² die semantischen Technologien zu Nutzen. Sie verwenden die semantischen Technologien, um ein vollständiges Bild der wahrscheinlichsten Arzneimittelziele im Körper für ein gegebenes Krankheitsbild zu erarbeiten. Semantische Werkzeuge erlauben ihnen dabei die unterschiedlichsten, inkompatiblen, biologischen Beschreibungen in einer einheitlichen Datei zusammenzustellen und auf diese Weise den Durchbruch auf der Suche nach dem nächsten innovativen Arzneimittel schneller zu erreichen. Pfizer, ein weltweit agierender Pharmakonzern, nutzt die semantischen Technologien, um unterschiedliche Datensätze von Protein-Protein-Interaktionen miteinandern zu verzahnen und so die unklaren Korrelationen aufzudecken, die helfen könnten, vielversprechende Medikationen zu identifizieren. Die Forscher bei Pfizer sind davon überzeugt, dass diese Technologien die Chance auf unerwartete Entdeckungen erhöhen, die Zeit zur Markteinführung von neuen Medikamenten enorm beschleunigen und die gesamte Gesundheitsindustrie dem Thema personalisierte Medikation ein Stück weit näher bringen. In all diesen Fällen wird die Arzneimittelforschung durch die semantischen Technologien bestärkt, indem Daten aus den unterschiedlichsten Quellen.³

Weiter geht es mit Anwendungsbeispiele für den privaten Bereich.


¹ Mark Musen, M.D., Ph.D.: Protégé Software. Herausgegeben von Stanford University School of Medicine. Stanford Center for Biomedical Informatics Research. Online verfügbar unter http://protege.stanford. edu/, zuletzt geprüft am 02.05.2008.
² Eli Lilly and Company. Online verfügbar unter http://www.lilly.com, zuletzt geprüft am 02.05.2008.
³ Lee Feigenbaum, Ivan Herman, Tonya Hongsermeier, Eric Neumann und Susie Stephens (2007): The Semantic Web in Action. Corporate Applications are well under way, and consumer uses are emerging. In: Scientific American, H. 6, S. 64–71.

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